Vorsichtig drehe ich den Zündschlüssel - der alte, grüne
Militärjeep springt auf Anhieb an. Damit habe ich eigentlich
nicht gerechnet. Der Zahn der Zeit hat an diesem Gefährt nicht
nur genagt, nein, eher ein paar echt große Happen einfach
abgebissen. Die Bodenplatte ist an mehreren Stellen durchgerostet,
ein halbwegs intaktes „Fetzendach“ schützt vor der Sonne,
Türen gibt es keine – dies wird für ordentlich Durchzug sorgen
und uns die nötige Kühlung in der sengenden Hitze des Tages
bringen. Zu den „Sicherheitsvorrichtungen“: Mich als Fahrer
schützt ein Gurt um die Hüften, während sich Nathalie mit einem
verschlissenem Band als „Türersatz“ abfinden muss, das sie
wohl in flotten Linkskurven vor dem Hinausfallen bewahren soll.
Soweit wird es aber erst gar nicht kommen, denn die nahezu
funktionslosen Bremsen lassen sowieso nur einen
defensiv-vorausschauenden Fahrstil zu, wenn man verletzungsfrei
ans Ziel kommen will. So gestaltet sich schon das Erreichen des
Ausgangsorts unserer Kajakexpedition sehr abenteuerlich.
Die beiden Faltkajaks und den
gesamte Rest der Ausrüstung inklusive Proviant für die erste
Tourwoche haben wir im Heck verstaut. Nun gilt es nur noch die
benötigten Seekarten zu besorgen. Das NAMRIA-Büro (National
Mapping and Resource Information Authority), die Behörde, wo
detailliertes Kartenmaterial für die gesamten Philippinen zu
erhalten ist, befindet sich in einem Regierungsgebäude (beim „Department
of Environment and Natural Ressources“) im Norden Puerto
Princesas. Das Amt liegt nur einen kurzen Abstecher von der
geplanten Route, am Weg aus der Hauptstadt Palawans, entfernt.
Der Jeep hat seine Tücken,
doch der lebhafte Verkehr Puerto Princesas lässt mir keine Zeit
mich langsam daran zu gewöhnen – sofort wird höchste
Konzentration gefordert. Ein Gewühl aus Tricycles (Mopeds mit
überdachtem Beiwagen), Jeepneys
(den typischen, urig-bunten Bussen der Philippinen), Radfahrern,
alten klapprigen Kleinwagen und fetten Fernost-SUVs prägt das
Stadtbild. Da müssen wir jetzt durch. Schweißgebadet erreichen
wir eine halbe Stunde später das NAMRIA-Büro. Wir decken uns mit
Kartenmaterial der gesamten Nordwestküste Palawans ein und kurze
Zeit später knattern wir gemächlich entlang der Hauptstrasse
Richtung Norden.
Die 400 km lange und nur
maximal 40 km breite Insel Palawan liegt im Südwesten der
Philippinen, zwischen der Sulu-See (im Süden) und dem
Südchinesischen Meer (im Norden). Neben der Hauptinsel gehören
1768 weitere Inseln zur Provinz. Die Natur ist zum Großteil noch
intakt und besteht aus gebirgigem, oft undurchdringlichem
Dschungel. In längst vergangenen Tagen gab es eine Landverbindung
zwischen Palawan und Borneo. Noch heute erinnern die
Gemeinsamkeiten in der vielfältigen Tier- und Pflanzenwelt daran.
Palawan wird oft „the last frontier“ – „die letzte Grenze“
– genannt. Die Erschließung der Insel schreitet natürlich auch
hier voran, jedoch viel, viel langsamer, als anderswo in den
Philippinen. Wir werden (vor allem während der zweiten Hälfte
unserer Reise) in Regionen paddeln, wo wahrscheinlich noch niemals
zuvor Kajaker gewesen sind. Das regt die Fantasie an…
Ein Schlagloch direkt vor
einer Brücke holt mich aber sehr schnell wieder auf den Boden der
Realität zurück. Die Bodenschwelle danach hebt uns den Magen aus
und lässt das Gepäck im Jeep kurzfristig abheben. Verloren haben
wir bei dem Manöver anscheinend nichts und so setzen wir die
Fahrt fort. In dem Örtchen Roxas übernachten wir – ungefähr
auf halber Strecke, bevor wir am nächsten Tag die finale Etappe
nach El Nido in Angriff nehmen wollen.
Die Asphaltstrasse wird zur
Schotterpiste. Vorbei an Reisfeldern und Palmenplantagen geht es
auf der kurvenreichen Strecke zur Nordwestseite der Insel. Dann
eröffnet sich uns plötzlich ein fantastischer Ausblick: Bis zum
Horizont erstreckt sich das Südchinesische Meer. Steile, dicht
bewachsene Inseln erheben sich in der Bacuit Bucht aus dem Wasser.
Die für diese Region typischen, teilweise bizarr geformten
Kalksteinfelsen reichen bald darauf bis an den Straßenrand heran.
Und plötzlich sind wir da. Wir rollen nach ca. 270 km Fahrt in El
Nido ein. Malerisch von einer schroffen Kulisse umrahmt, ist der
Fischerort unser Ausgangspunkt für die Befahrung der
Nordwestküste Palawans.
El Nido bedeutet „Das Nest“
– der Name leitet sich ab von den unzähligen Schwalbennestern,
die auf den Klippen der vorgelagerten Inseln hoch oben in den
senkrechten Kalksteinfelswänden sehr exponiert platziert sind.
Das „ernten“ der Schwalbeneier hat eine lange Tradition. „Bird´s
nest soup“ gilt als Delikatesse, vor allem im asiatischen Raum.
Eine weitere Haupteinnahmequelle ist mittlerweile aber auch der
Tourismus. Tagestouren zu den Stränden der umliegenden Inseln
sind sehr beliebt, ebenso Tauch- und Schnorcheltrips in der
weitgehend intakten und artenreichen Unterwasserwelt. Diese
Entwicklung sei den Einheimischen von Herzen gegönnt. Und von
Massentourismus kann hier noch lange keine Rede sein. Auch ist das
Interesse der Urlauber auf ein paar klassische Highlights in der
Bacuit Bucht beschränkt.
Auf einem unserer Streifzüge
durch das kleine Städtchen kommen wir an der Hütte der Coast
Guard, der Küstenwache, vorbei. Wir werden herzlich von einem
Mitarbeiter empfangen, der extra für uns langsam aus der
Hängematte gekrochen ist. Ein paar wichtige Telefonnummern
notieren wir und erkundigen uns auch nach der
Funkfrequenz im Falle eines Notfalls. Wäre da nicht ein
klitzekleines Problem: Das einzige Funkgerät dieses Postens ist
defekt. Schon seit Monaten. Ein neues ?! Nicht wirklich in
Aussicht.
Nathalie
wartet geduldig auf die fein-säuberlich niedergeschriebenen
Telefonnummern
des
hilfsbereiten Mitarbeiters der Küstenwache von El Nido
Bald
darauf befinden sich die Faltkajaks fixfertig aufgebaut neben
unserer Hütte und warten darauf ins Wasser gelassen zu werden.
Ausrüstung, Essen und 45 l Wasser stehen auch schon bereit.
Eigentlich wollen wir morgen los. Doch wie aus heiterem Himmel
rafft uns eine ominöse Art von „Schlafkrankheit“ nieder. Der
Bauch rebelliert ein wenig, doch diese alles niederschmetternde
Müdigkeit, die uns einen ganzen Tag in einem Delirium-artigen
Schlafzustand verbringen lässt, macht es unmöglich an Paddeln
überhaupt zu denken - wenn sogar der Weg zur Toilette zum
Kraftakt wird. „Verdammt, was ist das ?! Und wie bekommen wir es
wieder weg ?!?“ Uns fällt nicht viel ein, außer ausreichend
Flüssigkeit zu uns zu nehmen, etwas zu essen und …. zu
schlafen.
So
plötzlich, wie „es“ gekommen war, so schnell sind wir es auch
wieder los – am nächsten Morgen fühlen wir uns deutlich
besser. Wir wollen keine wertvolle Zeit auf dem Wasser verlieren
und entscheiden uns, obwohl wir noch nicht ganz bei Kräften sind,
trotzdem loszulegen. Nach einem kleinen Frühstück geht es mit
dem ganzen Equipment zum Strand. Packsäcke und Trinkbeutel wollen
gekonnt im Rumpf der Boote möglichst gleichmäßig verstaut
werden. Dann ein obligatorisches „Wir-vor-der-Tour“-Foto, und
wir legen ab.
Blick
zurück nach El Nido bei der Abfahrt
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